Hessen erprobt seit einiger Zeit das Schulfach “Digitale Welt” und an mir war es völlig vorbeigegangen, bis ich Andreas Dengel im t3n Magazin Podcast gehört hatte. Ich fand das spannend, dass man vielleicht als Zwischenschritt zur Auflösung der Fächer größere Bereiche zusammenfassen könnte und hatte es schnell auf LinkedIn gepostet. Inzwischen habe ich einige Rückmeldungen erhalten und mir auch die Vorstellung und Diskussion mit der Gesellschaft für Informatik (GI) dazu angeschaut, die mich daran aber zweifeln lassen. Nachfolgend einige meiner Erkenntnisse dazu:

Entwicklungsprozess und Einführung des neuen Schulfachs in Hessen

Vor allem von betroffenen Lehrkräften wurde kommentiert, dass es unklar sei, welche Qualifikationen es braucht, um das Fach zu unterrichten. Informatiklehrkräfte sind ohnehin knapp, für die Pilotschulen gab es wohl eine Weiterbildung von 2 Wochen (wurde bei der Vorstellung für die GI gesagt), aber bei der Lehrkräfteausbildung sei das Fach noch nicht angekommen. Bei der Entwicklung des Fachs seien lediglich ehemalige, aber keine aktiven Lehrkräfte eingebunden gewesen. Der Lehrplan ist nicht öffentlich einsehbar. Dazu gibt es die Kritik, dass das neue Fach vor allem Wahlkampf-getrieben entwickelt wurde.

Weil ich aus Hochschulen solche Entwicklungsprojekte kenne, möchte ich zu einem gewissen Punkt sagen, dass es deswegen ja auch erst noch in der Erprobung ist, und wir sonst ja häufig eine bessere Fehlerkultur fordern – und das müsste dann auch der Politik zugestanden werden. ABER durch die Intransparenz fällt es mir schwer, das lange zu verteidigen: Ich wollte mir den Lehrplan anschauen, vielleicht auch das Lehrmaterial dazu (wäre doch cool, wenn das endlich mal OER wäre), aber das scheint alles unter Verschluss zu sein. Lehrplan und -material via Git wäre doch mal was gewesen 😎

Interdisziplinarität, Fächerkultur oder Abschaffung von Unterrichtsfächern

Ich hatte nach dem Hören des t3n-Podcasts ja die fixe Idee, dass interdisziplinäre Ansätze (und so hatte ich das Schulfach verstanden) eine gute Idee sein könnten, um der “richtigen Welt” näherzukommen. Schon in den Fachdisziplinen unterscheiden wir uns stark, und kaum ein Projekt bei uns kommt ohne Kooperationen aus, weil wir Expert*innen aus anderen Bereichen brauchen, wie aktuell Berufsbildung, Pflegewissenschaften, Unternehmensgründung, Kommunen u.v.m. Inzwischen denke ich, dass das ein fauler Kompromiss wäre, bei dem beide Seiten verlieren.

Ein Argument von Christian Spannagel und auch im Video der Gesellschaft für Informatik e.V. war, dass Unterrichtsfächer wie die wissenschaftlichen Disziplinen heißen sollten. Zum einen mag das aus der Lehrkräftebildung kommen, vor allem aber führen Aussagen wie “das klingt viel spannender als Informatik” oder (das kam im Video tatsächlich so) “dann können wir auch mehr Mädchen dafür gewinnen” nicht dazu, dass die Wissenschaftsdisziplin beliebter wird, sie wird eher (hoffentlich nur unbewusst) abgewertet. Vielmehr sollten wir am Image der Fächer arbeiten, denn Anwendungsbezug, Projektarbeit und Interdisziplinarität sind auch heute schon möglich – und finden in den Fächern auch schon statt. Oder wie es im Video genannt wurde: Nur, weil für eine Sachaufgabe die Fläche für einen Fußboden berechnet werden muss, benennen wir Mathematik nicht in “Fließenlege-Unterricht” um.

Eine andere Möglichkeit wäre es, den Sinn von Unterrichtsfächern als Ganzes anzuzweifeln und Ansätze wie die der Alemannenschule in Wutösching zu betrachten (hier aktuell im Podcast “Die Schule brennt” vorgestellt). Dann aber behindert die Diskussion um neue Schulfächer eine konsequente Umstellung und bindet Ressourcen, die wir dafür brauchen, Kompetenzen und intendierte Lernergebnisse in Aufgabenstellungen und Unterstützungsangebote umzustellen.

Zwischenfazit

In knapp 2 Tagen bin ich in der Diskussion von “das klingt interessant” über “schade, nicht gut gemacht” und “stimmt, Informatik stärken wäre besser” wieder bei dem Ergebnis, das schon einige Leute vor mir hatten (bspw. schön zusammengesammelt von Bent Freiwald): Neue Schulfächer sind keine Lösung. Solange wir überhaupt an Schulfächern festhalten wollen, sollten wir diese verbessern. Insgesamt scheint mir aber ein kompetenzbasierter Ansatz ohne feste Fächergrenzen vielversprechender aus. Einige Schulen zeigen hier, wie es gehen kann. Andererseits schreiben auch nur die Sieger*innen die Geschichte und nicht die, die es vielleicht wieder aufgegeben haben, weil bspw. die Lehrkräfte noch auf das aktuelle System hin ausgebildet werden.

 

Beitragsbild generiert mit Adobe Firefly, Prompt: “In einer Schule in Hessen wird das Schulfach “Digitale Welt” unterrichtet.” zzgl. Stilreferenz