Bei meinem Vortrag zur Erstellung von Lernmaterialien unterschiedlichen Ausmaßes auf der Grundlage von gleichen Lerninhalten (Folien bei Slideshare) wurde ich gefragt, ob ich generell der Aussage zustimmen würde:
Macrolearning ist die Voraussetzung für den Erfolg von Microlearning-Einheiten.
Ich mochte der Aussage dort noch nicht ganz zustimmen, meinte aber, dass viele Argumente auf die Richtigkeit der Aussage hinweisen würden (wie Fragen im Anschluss an diese bestätigten). Vor allem ein Gedanke an das „Henne-Ei-Problem“ (fängt man nicht immer in kleinen Schritten an?) hat mich von einem klaren Ja noch abgehalten.
Heute, nach ein wenig Zeit zum Überlegen und recherchieren, würde ich wieder mit einem Jein antworten. Ich denke, dass es vom Lernziel abhängig ist, ob und wie erfolgreich kleine oder große Lerneinheiten verstanden werden können. Nimmt man beispielsweise die kognitiven Lernziele nach Bloom (vgl. Engelhart et. al 1972 mit Erläuterungen von Kerres 2001) als Grundlagem werden dort folgende Hauptklassen beschrieben:
- Wissen: „Bekannte Informationen können aus dem Gedächtnis erinnert werden.“
- Verstehen: „Neue Informationen können verarbeitet und in einen größeren Kontext eingeordnet werden.“
- Anwendung: „Regeln und Prinzipien können in definierten Situationen verwendet werden.“
- Analyse: „Ein Sachverhalt kann in seine Bestandteile zergliedert werden.“
- Synthese: „Teile oder Elemente können zu einem (neuen) Ganzen zusammengefügt werden.“
- Bewertung: „Es können Urteile gefällt werden, ob bestimmte Kriterien erfüllt sind.“
Losgelöste Microlearning-Einheiten (wenn es denn soetwas gibt, denn ehe wir davon konkret sprechen haben wir alle ja (hoffentlich) schon einen bestimmten Wissensstand erreicht) können nur im Lernzielbereich Wissen erfolgreich sein. Zum Beispiel folgendes:
Das Merken (=Wissen) ist relativ einfach – einmal gehört habe ich mir vorgenommen, die Millionenfrage damit zu knacken.
Bereits beim Verstehen und der Anwendung (z.B. wenn man ein Hinweisschild für Eulen aufstellt, darf das auch blau sein) kommt es auf die Größe des Kontextes an, in den das Wissen eingeordnet werden soll und das Verständnis von Microlearning (sind 5 oder 15 Minuten noch „micro“ genug?). Verstehen in diesem Kontext hieße: Ich weiß jetzt auch, dass andere Vögel die Farbe blau nicht sehen können.
Spätestens aber bei der Analyse des Sachverhaltes ist ein gewisses Hintergrundwissen, z.B. über Vögel und Farbensehen, nötig. Hier und bei den nachfolgenden Lernzielklassen Synthese und Beurteilung kommt man mit kurzen „Wissenshäppchen“ nicht weiter (auch, wenn es BILD-Zeitung und Co. immer wieder versuchen).
Referenzen
- Engelhart, M. D., Furst, E. J., Hill, W. H., & Krathwohl, D. R. (1972). Taxonomie von Lernzielen im kognitiven Bereich (16th ed.). Weinheim und Basel: Beltz Studienbuch.
- Kerres, M. (2001). Multimediale und telemediale Lernumgebungen (2., vollst. überarb. Aufl.), München : Oldenbourg Verlag, Seite 156
4. Oktober 2010 um 20:25 Uhr
Das Problem ist, dass ich schon morgen vergessen haben werde, dass Eulen blau sehen können und das andere Vögel dies nicht können.
Vielleicht genau den Fakt nicht, aber wäre es jetzt nicht Gesprächsthema, mit Sicherheit. So geht es mir mit fast allen „unnützen Informationen“. Thema: „Neon unnützes Wissen“ oder solche Fragen wie: „Wann ist Schauspieler XY geboren?“ Meine Begründung dazu ist: Mein Gehirn hat nicht unendlich Platz und wenn was neues rein kommt, fällt was altes raus.
In letzter Zeit habe ich auch das Gefühl, dass das ganze Internet so aufgebaut ist und das sich das Gehirn daran gewöhnt. Man muss einfach nichts mehr lernen, weil es ja immer präsent ist. Ich muss mir nurnoch merken, WO ich die Information her hatte, wenn mich dazu jemand befragt.
Zu lesen gibts zum Thema genug: http://goo.gl/TjTs
4. Oktober 2010 um 22:12 Uhr
Hallo Paul und danke für den Kommentar!
Das Problem der Informationsüberflutung ist zwar nicht neu, wird seit Web 2.0 und User Generated Content aber wieder verstärkt diskutiert, da die Menge und Produktion von (Micro-)Content zunimmt. Ein lesenswerter Beitrag hierzu ist von Steve Rosenbaum Content is no longer King: Curation is king: Weil eben jeder Inhalte veröffentlichen kann (sogar ich 😉 ) haben wir uns daran gewöhnt, dass nicht alles, was im Netz steht, wichtig oder gar merkenswert ist. Daher neigt man auch manchmal dazu, Informationen zu googlen, als sie sich zu merken.
Wie lässt sich das nun in die Microlearning-Diskussion einordnen? Microlearning basiert häufig auf Microcontent, also kleinen Informationshäppchen, die in der kurzen Zeit auch zu lernen sind. Die Möglichkeit, dass Informationen, die man lernen könnte, mit unwichtigeren Informationen „durchrutschen“, ist also durchaus gegeben. Es kann also sein, dass mir bei Herrn Jauch nicht mehr einfällt, welche Vögel als einzige blau sehen können.
Was könnte man dagegen tun? Wiederholung und Reflexion wäre eine Möglichkeit. Allein durch diese Diskussion wächst unsere Chance auf den Millionengewinn. (Hochschulen-)Schulen „unterstützen“ das durch Prüfungen, also Assessments, sodass man zur Wiederholung gezwungen ist.
Aber (1): Nicht alles, was ich noch so oft wiederholt und reflektiert habe, weiß ich heute noch, z.B. die chemische Gleichung zur Photosynthese. Aber (2): Nicht alles, was ich nicht extra wiederholt und reflektiert habe, habe ich auch vergessen, z.B. Mönchen standen früher 5l, Nonnen 3l Wein am Tag zu (gelernt bei einer Burgführung auf der Reichsburg Cochem).
Ich lande in letzter Zeit sehr oft bei der Frage, wie sich Informieren und Lernen gegeneinander abgrenzen lassen. Und um diese Frage haben sich schon viele gedrückt…
1. November 2010 um 16:14 Uhr
Zu der differenzierten Argumentation folgende Kommentare:
1. Klein oder groß anfangen (Henne-Ei-Problem)
Wenn wir das (auswendig Lernen) Kennen von Fakten u. deklarativem Wissen beiseite schieben, dann ist m. Erachtens das Schaffen eines groben Kontextrahmens zum Verständnis der über das Know-What hinausgehenden Stufen des Know-How (und des Know-Why) primäres Lehrziel spätestens akademischer Bildungseinrichtungen. Auch (gemäßigt) konstruktivistische Ansätze des Problem based Learning gehen von der komplexen Realsituation aus und fordern das Problem generating als ersten Schritt selbstgesteuerten Lernens ein, dem dann Konnektionen und Interaktionen zur individuellen und kollektiven Wissensschaffung und -absicherung folgen (Im Gegensatz zum „Lego-Lernen“ = vom Einfachen zum Komplexen in kleinen Häppchen). Im Ergebnis wird Handlungskompetenz für das situationsbedingte Entscheiden (von Führungskräften) aufgebaut. Ich möchte diesen Ansatz des „ganzheitlichen“ (holistischen) Herangehens (Lernen zu Handeln) als intentionales „Macro-Learning“ verstehen.
Anschließend können – wiederum intentionale (zielorientierte), aber selbstgesteuerte, semi-formale – Lern-Maßnahmen im Sinne des „Micro-Learning“ folgen. Jetzt werden – entlang den Arbeitsprozessen und -problemen gezielt Wissens-/Verständnis-Lücken gefunden und das große Schema in kleinen Schritten gefüllt.
2. Abgrenzung zwischen sich informieren und lernen:
Will man obiger Argumentation folgen, dann wäre das sich-informieren im Handeln eine intentionale, zur Lösung notwendige Beschaffung von Information (Daten mit Semantik/Zweckbezug, zum Problemraum passend, neuartig/überraschend = possibilistischer Wert) der erste Schritt des Findens von Lücken. Ein anschließendes Einbauen in das (eigene oder kollektive) mentale (Verständnis-) Schema (Kontext) wäre der gezielte (intentionale) 2. Schritt des Lernens (wiederholend/multiperspektivisch, diskutierend mit anderen …).